11.

 

Es ist geradezu mirakulös, wenn man sich durch das Liebesaroma einer in Hitze geratenen Artgenossin in einen Fortpflanzungsroboter verwandelt. Die Sache wird jedoch um einige Zacken schärfer, wenn das Objekt der Begierde sich auch noch als das Makelloseste und Liebreizendste entpuppt, was eine Rasse oder eine Art, letztendlich dieses verdammte Diesseits, je hervorgebracht hat! Zwischen halbzerbrochenen Säulenfüßen, umgestürzten Giebeldreiecken und zerplatzten Mosaikteilen wälzte sich eine Korat auf dem Höhepunkt ihrer Lust. Ein altes Thai-Gedicht beschreibt das Fell meiner unerwarteten Geliebten »mit Haarwurzeln wie Wolken und Spitzen wie Silber«.

Sie besaß ein herzförmiges Gesicht, sehr große, wache, grüne Augen und hochgestellte Ohren. Ihr Körper war außergewöhnlich muskulös und wie durch einen digitalen Filmtrick gegen die Gesetze der Anatomie sehr langgezogen. Das Wahrzeichen ihrer Rasse, ihr kurzanliegendes, silber-blaues Fell mit deutlich silbernen Spitzen unterschied sie von jedem anderen unseres Geschlechts. Das Tipping, der sich bei Bewegungen zeigende Kontrast zwischen Deckhaar und Unterfell, erzeugte eine Lichtreflexion an den feinen, spitz zulaufenden Haaren, die sie aussehen ließ, als trüge sie einen Heiligenschein. Obwohl alle Korats ihre Abstammung auf thailändische Ahnen zurückführen können, war sie für mich die perfekte römische Göttin.

Wenn man wie ich zudem wußte, daß ihrer Gattung glückbringende Kräfte nachgesagt wurden, was sollte da noch schiefgehen?

» Tandem is héros venit, qui me tormentis meis liberabit« , gurrte sie mit einer schönen, leisen Stimme und rollte sich mit ausgestreckten Gliedern wollüstig zur Seite.

Durch den Liebestaumel nur partiell zurechnungsfähig, empfand ich das Gehörte im ersten Moment als das Normalste der Welt. Gleich drauf jedoch – ein bißchen Restverstand hatte ich mir scheinbar trotz der mich überschwemmenden Hormonflut doch noch bewahrt –

wurde mir klar, daß ihre Worte weder der italienischen noch einer anderen heutzutage gebräuchlichen Sprache entstammten. Dann fiel der Groschen. Unglaublich, sie sprach fließend Latein! Wo sie das wohl her hatte? Ich stellte im Hirn einige Weichen um und bemühte mich in jener Sprache zu denken, die ich im Zusammenleben mit einem sehr fetten Archäologen erlernt hatte. Wenn ich mich nicht irrte, hatte sie wohl eben »Endlich ist der Held da, der mich von meinen Qualen erlöst« gesagt. Was eigentlich gar nicht so übel klang.

»Ich bin in der Tat ein Held, mehr noch, ich bin dein ganz persönlicher Held!« erwiderte ich ihr auf Lateinisch.

»Aber wie kommt es, daß du diese ungewöhnliche Sprache beherrschst?«

» Garriamus aut gaudium habeamus? Explicationibus postea tempus erit. «

Das klang vernünftig. Wenn sie erst ihren Spaß haben und sich die Erklärungen für später aufbewahren wollte, bittesehr! Aber da gute Manieren nun mal schwerer auszutreiben sind als Mundgeruch, wollte ich zumindest ihren Namen erfahren, bevor wir gemeinsam einen Blick ins Paradies riskierten.

» Sancta! « sagte sie und fauchte sinnlich.

Heiliger Bimbam, wie konnte man nur wie eine Heilige aussehen und dann auch noch »die Heilige« heißen!

Allerdings überließ ich die Bewertung darüber, ob das, was wir im Folgenden miteinander trieben, als besonders heilig einzustufen war, den dafür zuständigen Heiligen.

Nachdem auch ich mich bei ihr vorgestellt hatte, verfiel Sancta in ein rhythmisches Treteln, hob ihr Hinterteil hoch und legte immer wieder ihren Schwanz zur Seite. Der Geruch ihres Urins und Scheidenflusses brachte mich an den Rand des Wahnsinns. Und als hätte auch noch ein Wahnsinnsarzt den Hahn einer mit süßesten Drogen gefüllten Infusionsflasche bis zum Anschlag aufgedreht, wurde die ganze Welt um mich herum rosarot. Langsam brach die Dämmerung an. Das Dunkelblau des Himmels wich nach und nach wärmeren Tönen, korallenrote Schichtwolken schoben sich in Wellen über den Köpfen der Statuen und Reiterdenkmäler hinweg und brachten sie zum Erröten, bis sich schließlich das Licht des aufgehenden Tages vollends über die gesamte Ruinenstätte ergoß.

Meiner Kehle entrangen sich Jauchzer der Lust, wobei ich gleichzeitig mit dem Setzen von Duftnoten beschäftigt war. Was für ein Glück, daß keine Konkurrenz in der Nähe weilte. Denn mit voll im Safte stehenden jugendlichen Liebesirren, die auf solche Gelegenheiten lauerten wie Knochenchirurgen auf Glatteis, hätte ich es schwerlich aufnehmen können. Obwohl mein silberblaues, grünäugiges Schätzchen nach Weiberart heftig fauchte und mit ausgestreckten Krallen nach mir haschte, wußte ich aus alter Erfahrung diese Gesten als Liebesbeweis einzuordnen. Es war sehr wichtig, ihre Deckbereitschaft zu erkennen, da ein vorzeitiger Versuch, sie zu besteigen, einen schlimmen Angriff auf mich hätte auslösen können.

Also blieb mir nichts anderes übrig, als aus sicherer Entfernung ihre Kostbarkeit zu beschnüffeln und feurig zu flehen.

Nach diesem sich eine Weile hinziehenden Hickhack –

Artfremde würden wohl kaum einen anderen Begriff dafür wählen – schien der magische Moment endlich gekommen. Die Sonne stieg blutrot über der Maxentius Basilika auf und tauchte mich und meine Heilige in ihren Glutschein. Und als ich sie bestieg und sie mit meinen Zähnen im Nackenfell ergriff, um sie unbeweglich zu machen, da vermeinte ich tatsächlich Eros’ Anwesenheit unter uns zu spüren, jener Gott unter den vielen hier, der meiner Meinung nach wirklich zu etwas zu nütze ist.3 Die Vögel begannen zu trällern, und auf unserem Höhepunkt stimmten Sancta und ich mit hymnischen Schreien in den Gesang mit ein. Das nannte ich Urlaub first class!

Unser Liebesspiel dauerte noch viele Stunden, bis wir schließlich völlig erschöpft, jedoch durchtränkt von Glück, nicht einmal mehr die Kraft aufbringen konnten, uns richtig zu putzen. Aus der Ferne sahen wir bereits die ersten Touristenhorden ins Forum hereinbrechen. Es wurde langsam Zeit, einen kleinen Spaziergang zu unternehmen und sich auch auf intellektueller Ebene kennenzulernen, oder sagen wir besser, endlich miteinander zu reden!

»Kannst du mir vielleicht jetzt verraten, wer dich die Sprache gelehrt hat, von der alle Welt glaubt, sie sei eine Erfindung von Werbetextern für Arzneimittel-Verpackungen, Liebling?« wollte ich von ihr wissen, während ihre Schritte uns unter der gleißenden Sonne in Richtung Palatin lenkten. Ich hoffte, daß sie mein so langsam auftauendes Latein einigermaßen verstand.

» Dominus meus me docuit, Pater Umberto. «

Ich übersetzte im Geiste die Worte, die ihrem silbern funkelnden Maul entströmten. Also ihr Herrchen, ein Pater namens Umberto hatte sie Latein gelehrt …

»… In seinem früheren Leben war er Ingenieur, bis er in eine schwere Krise geriet und sich gänzlich dem Glauben zuwandte. Er schloß sich einem Mönchsorden mit sehr puritanischem Kodex an. Aber sein Ruf als grandioser Techniker folgte ihm bis in die dunkle Mönchszelle und glücklicherweise noch darüber hinaus. So wurde er irgendwann vom Heiligen Vater höchstpersönlich zum Vatikan beordert, um dort die Sicherheitstechnologie auf den neuesten Stand zu bringen. Heute ist er für die Überwachungsanlagen insbesondere des Petersdoms zuständig. Und weil er seine Sache so gut macht, bat man ihn, die bewährte Technologie auch hier im Forum zu installieren. Er ist besessen von unserer Art, und neben mir hält er sich in dieser Anlage noch so einen schwarzen Halunken, der aber immer wieder ausreißt. Jedenfalls sehe ich ihn selten. Nachdem Umberto mich einer Züchterin abgekauft hatte, sprach er von Kindesbeinen an nur Latein mit mir. Er lebt zwar in der heutigen Welt, doch sein Herz schlägt für die alte. Er ist der Meinung, unsere Zeit sei völlig verkommen. Wie von einer ganz speziellen Art von Alzheimer befallen, würde sie nach und nach ihre ursprünglichste und bedeutsamste Sprache verlernen und die Werte der christlich abendländischen Kultur gleich mit. Wenn du mich fragst, übertreibt er maßlos. Equidem me satis dixisse puto, Narra historiam tuam, Francis. Non hinc esse videris. «

Jetzt sollte ich also meine Geschichte zum besten geben.

Nun, die würde sich ziemlich wirr anhören. Für eine Schönheitskönigin, die den lieben langen Tag nichts anderes tat, als sich mit vor Jahrtausenden aus Stein geklopften Schönheiten zu messen und über Touristen in XXL-Shorts die Nase zu rümpfen, vielleicht sogar ein bißchen albern. Wir waren inzwischen den Palatinischen Hügel hochgestiegen, eine mystisch-mythische Ruinenwelt. Jahrhundertelang residierten auf dem Palatin die Herren Roms. Reiche Patrizier, Schriftsteller wie Cicero, Politiker und Gelehrte hatten hier ihre Wohnungen, und Kaiser wie Augustus und Domitian bauten auf diesem Hügel Tempel und ihre Stadtpaläste –

das Wort »Palast« kommt übrigens von Palatin. Noch die Rudimente dieser Bauten vermittelten einen deutlichen Eindruck vom einstigen Glanz. Zwischen den Terrassen und Blumeninseln, Rasenflächen, kleinen Bauten, Fontänen und Baumgruppen zu schlendern war fast stimmungsvoller als der Gang durch das Forum. Zudem sah man von hier oben die Hinterlassenschaften des Imperiums aus der geordneten Vogelperspektive. Das Beste daran war jedoch der ungehinderte atemraubende Blick auf das Amphitheater der Flavier, auch Kolosseum genannt.

Ich berichtete Sancta von den Umständen meiner Romreise, meiner freundlichen Aufnahme seitens Antonio, Giovanni und Samantha in der Stadt und von den sich überschlagenden Ereignissen danach.

Selbstverständlich kam ich auch auf die grassierenden Morde zu sprechen, deren letztes Opfer ich mit eigenen Augen hatte ansehen müssen. Ich unterbreitete ihr meine diesbezüglichen Gedanken und die daraus resultierenden Schlüsse. Sancta schien von dem von mir erschaffenen Bild einer im Spalt einer zerbrochenen Säule knospenden zarten Blume weit entfernt zu sein und entpuppte sich Gott sei dank als Realistin. Auch sie hatte von den Morden schon gehört, befürchtete gar, selbst Ohr und Leben durch die Hand des Meuchlers zu verlieren und war entschlossen, mich bei meiner Suche mit Informationen, so sie welche besaß, tatkräftig zu unterstützen.

» Igitur investigator es, Francis, quaerens verum ultimum? «, sagte sie und verengte ihre Augenlider gegen das stechende Sonnenlicht. Wir hatten an einer Terrasse der Thermen des Septimius Severus eine kleine Rast eingelegt. Die mächtigen Unterbauten, die einst Pfeiler und Bögen des Mauerwerks trugen, einige Bäder und Korridore und sogar die Heizungsanlage waren noch erhalten. Der Blick reichte hinüber zum Kolosseum bis hin zum Circus Maximus. Doch die wundervollste unter allen Sehenswürdigkeiten blieb immer noch meine antike Braut.

In der Helligkeit war aus ihrem Fell der blaue Farbton gänzlich entschwunden. Das Silber darin hingegen hatte sich mittlerweile zu einem kosmischen Glühen intensiviert, das sie endgültig zu einer Heiligen krönte. Ihr begehrenswertes Odeur hing wie die Erinnerung an ein glückliches Kindheitserlebnis immer noch in meiner Nase und ließ mich beinahe in die Knie gehen. Herr im Himmel, solche Empfindungen hatten mich seit seligen Jugendtagen nicht mehr beschlichen! Der alte Esel hat sich verliebt! hätte ich mich beinahe selbst verspottet, wenn mir die Verwendung von Tiernamen in Spötteleien nicht verdammt auf den Senkel gehen würde.

»Ja, zuweilen ergreift der Detektiv von mir Besitz, Sancta« antwortete ich, nachdem ich mich von meiner Benommenheit aus zu viel Sonnenschein und zu viel hormoneller Verzückung wieder ein bißchen erholt hatte.

»Aber es ist bloß Zufall, daß ich gelegentlich in den Hades hinabsteigen muß. Oder Schicksal. Von heute an jedoch möchte ich hauptberuflich nur noch eins sein, nämlich derjenige, der dich bis ans Ende aller Tage anbetet.«

Sie lächelte spitz, als würde sie meine Worte als ein liebgemeintes, aber phrasenhaftes Kompliment werten.

Doch ich wußte aus alter Erfahrung, daß den Damen gerade die klebrigsten Komplimente in Wahrheit wie Öl runtergingen.

»Um auf die letzte Scheußlichkeit in meinem Zweitberuf nochmals zurückzukommen: Ich habe dir erzählt, daß auf dieser spukhaften Versammlung in den Katakomben der Kapuzenmann von einem bevorstehenden Wunder, von il miracolo sprach. Sagt dir das irgend etwas? Ich meine, hast du je Gerüchte in Zusammenhang mit unserer Art, die sich um ein sogenanntes Wunder drehen, gehört?«

Sancta überlegte lange, wobei ihre patinagrünen Augen zwischen den schlitzgewordenen Lidern gänzlich verschwanden, und schüttelte dann den Kopf. Ich wollte gerade die nächste Frage loswerden, da schaute sie mit einem Mal ruckartig auf, als sei ihr doch noch etwas eingefallen.

»Nun, wenn ich es mir recht überlege, gibt es da in der Tat ein Wunder, das eine gewisse Verbindung zu uns besitzt. Doch es steht nicht bevor, sondern existiert bereits seit Ewigkeiten und ist ziemlich lebendig. Jeder Römer kennt es. Und seitdem die Fernsehsender, die das Volk um die Weihnachtszeit und zu Ostern mit rührseligen Impressionen zu beglücken pflegen, sein Bild bis zum Erbrechen gesendet haben, hängt es mittlerweile allen zum Halse hinaus.«

Sofort verwandelte ich mich vom feurigen Liebhaber in den feurigen Detektiven zurück.

»Was, es gibt il miracolo tatsächlich?«

»Leider! Und er heißt auch so.«

»Wie bitte?«

» Miracolo ist der Name des Haustiers des Papstes! Und seit diesen putzigen Medienberichten hat das Vieh eine steile Karriere zum heimlichen Maskottchen des Vatikans hingelegt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch der Kerl, der bedauerlicherweise unserer Art abstammt, legt mehr und mehr ein Gehabe an den Tag, als sei er selbst der Papst. Er ist ein Perser, der inzwischen wohl so viele Jahre auf dem Buckel haben dürfte wie der Apollo-Tempel. Er umgibt sich mit Hofschranzen, die ihn in seinem Größenwahn auch noch bestärken. Jedenfalls läßt er unserer Gemeinde ab und an sittenstrenge Botschaften zukommen, die die Enzyklika des Papstes weit in den Schatten stellen. Im besten Falle verstehen wir sie nicht und im schlechtesten lassen sie uns nur mit dem Kopf schütteln.«

»Den muß ich unbedingt kennenlernen!« rief ich so laut, als sei irgendwo Feuer ausgebrochen.

» Quare? « erwiderte sie und starrte mich entgeistert an.

»Das fragst du? Ich suche nach einem Wunder in Rom, Sancta, und Miracolo ist das einzige Wunder, dessen ich habhaft werden kann.«

» Iste non est miraculum, sed vir stultissimus! «

»Mag sein, daß er ein Vollidiot ist. Aber mein untrüglicher Instinkt sagt mir, daß von einem Gespräch mit ihm viel abhängen könnte. Doch wie um alles in der Welt sollte es zu einem Treffen zwischen ihm und mir kommen? Er ist ein Star, und ich bin nur ein elender Tourist.«

»Keine Sorge, Francis.« Sancta lächelte milde wie eine Mutter über ihren kleinen Sprößling milde lächelt, wenn dieser um den Besuch des Weihnachtsmannes bangt, weil er das Jahr über nicht allzu brav gewesen war.

»Ein Star braucht Publikum, und Miracolo hat wenig davon. Er wird dich mit absoluter Sicherheit empfangen.

Und wie du auf dem simpelsten Wege zu ihm gelangst, verrate ich dir, wenn du mich für immer verläßt.«

Jetzt lächelte sie nicht mehr. Im Gegenteil, über ihr Gesicht schoben sich ganze Wolkenfelder.

»Bist du denn so einsam, Sancta?«

»Manchmal«, sagte sie und versuchte Haltung zu bewahren. Aber ihre Schnurrhaare vibrierten, und um das Maul stahl sich ein hartnäckiges Zittern. Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Dieses Areal eignet sich wie kein anderes als Tummelplatz für unseresgleichen, und trotzdem höre ich wochenlang, bisweilen über Monate hinweg kein einziges Miauen. Es gibt hier für die Brüder und Schwestern nichts zu holen. Die Touristen wagen ja vor lauter Ehrfurcht nicht einmal ein halbangegessenes Wurstbrot wegzuwerfen. Alles ist schön anzusehen, doch diese Schönheit ist denen zu verdanken, deren Knochen schon vor Jahrtausenden zu Staub zerfallen sind. Das Leben selbst lebt hier nicht mehr. Ich aber bin lebendig, und das ist meine Tragödie.«

Mein Herz zog sich bei ihren Worten zusammen. War sie mir vorhin wie eine Schönheitskönigin vorgekommen, so wußte ich nun, daß sie in Wahrheit eine Königin ohne Untertanen war. Wie traurig mußte ihr zumute sein, wenn sie den ganzen Tag in all der Pracht umherschlenderte und dabei kein einziges Mal einem Artgenossen begegnete?

Ohne den überstrapazierten Vergleich vom Goldenen Käfig zu bemühen, ahnte ich, daß selbst strahlende Schönheit und großer Reichtum etwas derart Alltägliches wie ein zärtliches Wangenreiben oder eine kleine Rauferei um den besten Sonnenplatz nicht ersetzen konnten. Nein, Sancta lebte weder in einem Goldenen Käfig noch wurde sie von irgendeinem Scheusal gefangengehalten. Sie war ihr eigenes Gefängnis, das war der springende Punkt! Das Forum, die alten Sagen und Legenden, die lateinische Sprache, die ganze verdammte versunkene Welt hatten auf sie abgefärbt und aus ihr ein Gespenst gemacht. Sie wollte leben, allein es fehlte ihr der Mut zu den Lebenden hinauszugehen.

»Sancta, glaube mir, wenn ich dich für immer verlasse, dann wird auch die Liebe mich für immer verlassen. Das wäre mein Verhängnis! Nachdem ich diese leidige Sache hinter mich gebracht und das Blutvergießen an unserer Art gestoppt habe, werde ich wieder zu dir zurückkehren. Das schwöre ich! Allerdings solltest du auf Schwüre und Versprechen nicht bauen und dir das Warten ohnehin schnell abgewöhnen. Wenn du wirklich leben willst, mußt du dieses Totenreich verlassen. Das empfiehlt dir dein Therapeut. Da draußen erwarten dich unzählige Gefahren, das Böse lauert an jeder Ecke, und Enttäuschungen gibt es wie Sand am Meer. Zugleich aber wirst du ausgerechnet von jenen Teufeln entschädigt werden, die für all das Übel verantwortlich sind. Warum? Weil in ihren Adern noch Blut fließt. Dir werden etliche Chancen begegnen und schließlich das wahre Glück. Und du wirst erkennen: Das Forum Romanum ist schön, doch das Leben unter den Lebenden ist noch schöner!«

Das Lächeln kehrte wieder in ihr Silbergesicht zurück.

Gleichwohl konnte es ein funkelndes Tränenrinnsal darin nicht verbergen. Vielleicht war es die Trauer über die vielen ins Land gegangenen Jahre, in denen sie ähnlichen Gedanken nachgehangen hatte, ohne sich je getraut zu haben, sie in die Tat umzusetzen.

»Nun heißt es also Vale! Francis?« sagte sie.

»Nein, es gibt noch einige Dinge, die ich von dir erfahren möchte.«

»Was denn, ob ich selbständig eine Ampel überqueren kann?«

Jetzt kehrte das Lächeln auch in mein Gesicht zurück.

»Ja, und was die verwirrend vielen Farben darauf zu bedeuten haben!« erwiderte ich. »Was mich aber noch brennender interessiert, ist diese glorreiche Sicherheitstechnologie, die Umberto hier installiert haben soll. Offengesagt sehe und spüre ich rein gar nichts davon.

Es sei denn, dein Herrchen hat jede einzelne Säule und jeden einzelnen Stein eigenhändig festgenagelt.«

»Damit liegst du nicht ganz falsch, Francis«, sagte sie, sprang von dem Terrassenrudiment herunter und lief den Hügel hinab. Neugierig folgte ich ihr. Inzwischen war es fast Mittag geworden, und da unten schoben sich ganze Bataillone von Touristen durch die Trümmerlandschaft.

Man erkannte sie schon aus weiter Ferne an ihrer Kleidung. Seltsam, daß Menschen glauben, im Urlaub müsse man was das angeht sogar Zirkusclowns übertreffen.

»Jeder einzelne antike Stein ist gezählt, katalogisiert und mehrfach fotografiert. Umberto hat zudem etwas anderes mit ihnen angestellt. Er hat in sie zwar keine Nägel hineingetrieben, aber eine sehr moderne Version von diesen Dingern injiziert, Mikrochips. Die neueste Entwicklung dieser Chips heißt, wenn ich mich recht entsinne, Smart Tags.«

Im Bruchteil einer Sekunde begriff ich das geniale Sicherheitskonzept, das Signore Umberto sich ausgedacht hatte. Das Stichwort hierbei hieß: funkende Etiketten!

Skeptiker hatten dafür allerdings eine ganz andere Bezeichnung: Schnüffel-Chips. Ich hatte davon in einem Fernsehbericht erfahren, wenn auch nur fragmentarisch, weil Gustavs Monstergeschnarche die Stimme des Sprechers ständig übertönt hatte. Die Smart-Tags oder RFID-, also Radio-Frequency-Identification-Chips, stellten für Überwachungsfetischisten die Erfüllung all ihrer Träume dar. Bislang fiel den Leuten der Barcode an Supermarkt-Produkten allenfalls beim Einscannen an der Kasse auf. Demnächst müssen sie hoffen, daß sie nicht seinem multifunktionalen Nachfolger auffallen. Dieser ist ein mit bloßem Auge kaum wahrnehmbarer, stromunabhängiger Funkchip, welcher direkt am Produkt angebracht ist und den Barcode im Einzelhandel ablösen soll. Anhand einer neuen Technologie übermitteln die winzigen Chips per Funk die Informationen an entfernte Sensoren. Aber auch in anderer Hinsicht setzt dieser Sender neue Maßstäbe: Er eignet sich auch zum Aktivieren von Videoüberwachungskameras und ermöglicht gleichsam als Peilsender die Verfolgung der Kunden, die mit dem Produkt in Berührung kommen. Der Kassierer kann nach Hause gehen – eine automatische Kasse erfaßt die Waren per Funk und treibt das Geld vom Konto des Kunden ein. Mittels eines versteckt angebrachten sogenannten Transponders kann sowohl registriert werden, wenn ein Dieb sich etwas in die Tasche steckt und den Laden verläßt, als auch in welcher Straße oder in welchem Hauseingang er dann verschwindet.

Und hier kam unser schlauer Umberto ins Spiel. Er hatte die Chancen, die dieser Chip für Security-Systeme bot, ein bißchen früher erkannt und jedes antike Stück im Forum damit präpariert. Auch nur einen einzigen Stein von dieser Stätte zu entwenden, kam für einen Dieb somit einer Selbsteinweisung ins Gefängnis gleich. Sicherheitsleute konnten auf einem Stadtplan auf dem Computermonitor jeden einzelnen seiner Schritte verfolgen und ihn so orten.

»Außerdem sind hier mehrere Kameras versteckt, die mit einem Zentralrechner verbunden sind«, fuhr Sancta fort, nachdem sie mir überflüssigerweise die Funktion von Smart Tags umständlich zu erklären versucht hatte.

Höflichkeitshalber wollte ich sie dabei natürlich nicht unterbrechen. Wir waren inzwischen unten im Forum angelangt, hielten uns jedoch an entlegene Pfade, damit uns der Touristenstrom nicht in die Quere kam. Wenn ich in dem Trümmerwirrwarr nicht ganz den Überblick verloren hatte, mußten wir wieder in Richtung des Titusbogens unterwegs sein.

»Jedes neu erscheinende Gesicht wird eingescannt und mit den biometrisch erfaßten Polizeifotos von einschlägigen Gaunern abgeglichen. Aber auch die biometrischen Daten von Unschuldigen werden nicht gelöscht, da sie ja hypothetisch Ersttäter sein könnten.«

»Zum Glück fallen wir ja weder in die eine noch in die andere Kategorie. Für Tiergestalten dürfte das Programm blind sein«, erwiderte ich mit naseweisem Gehabe.

»Mitnichten«, sagte Sancta ungerührt, als sei das die normalste Sache der Welt. Ich wollte am liebsten auf der Stelle vor Scham im Erdboden versinken, zumindest aber bis Bordeauxviolett erröten, wenn dies unserer Art möglich gewesen wäre. Denn bei dem Gedanken, daß wir bei unserer hitzigen Liebelei in der Morgendämmerung heimlich gefilmt worden waren, verkrampfte ich mich so stark, daß ich mich beinahe in eine der uns permanent streifenden Statuen verwandelt hätte. Sancta indes schien es nichts auszumachen, daß sie auf Schritt und Tritt beobachtet wurde. Warum sollte es auch, war sie doch damit aufgewachsen.

In der Nähe des Titusbogens schlug meine Geliebte plötzlich einen Haken in ein von wildem Buschwerk bewachsenes Gelände. Wir krochen durch dichtes Gestrüpp, machten uns klein und quetschten uns wie Flundern unter über der Erde wuchernden Wurzeln hindurch, und schließlich kämpften wir gegen lianenartige Pflanzenbehänge, die den Vergleich mit einem richtigen Dschungel nicht zu scheuen brauchten. Plötzlich standen wir mit den Pfoten unversehens auf Glas. Es war Panzerglas, zirka fünf Zentimeter dick, rechteckig und von solcher Ausdehnung, daß man locker ein Häuschen darauf hätte errichten können.

Mein Blick gewahrte eine im Erdboden verborgene High-Tech-Zentrale. Auf den unzähligen Monitoren an einer Wand erschienen die Gesichter der neuankommenden Besucher. Die bewegten Bilder froren in Sekundenschnelle ein, und ein Computerprogramm berechnete die Maße der spezifischen Gesichtsmerkmale und analysierte Haut- und Haarfarbe anhand von hellen Lichtpunkten und aufleuchtenden Linien. Danach verwandelten sich die Gesichter in nur mehr aus groben Strukturen und blinkenden Punkten bestehende Abstraktionen und verschwanden in einem Fenster im oberen Winkel des Bildschirms. Auf anderen Monitoren ratterten Zahlenreihen durch. Auf den nächsten wiederum wurde mit Hilfe eines speziellen Programms, das dreidimensionale geometrische Muster erkannte, fortlaufend das aktuelle Aussehen und die Position der einzelnen Ruinenelemente mit den alten Daten auf Archivmaterial verglichen. Diese elektronische Total-Überwachung lief fast selbständig ab, denn am Kontrollpult mit den vielen Reglern und Tasten saß lediglich ein Wachmann in blauer Uniform, der sich hin und wieder dazu bequemte, einen Telefonanruf entgegenzunehmen, ansonsten aber vor Langeweile gähnte.

»Jetzt kennst du das Geheimnis, weshalb das römische Imperium immer und ewig an seinem angestammten Platz bleiben wird, Francis«, sagte Sancta, und in ihrem Ausdruck war der Stolz auf ihr Herrchen und dessen Wundertaten kaum zu verkennen.

»Das ist ja in der Tat sehr beeindruckend, Sancta«, erwiderte ich. »Gegen deinen Umberto war George Orwell ja ein phantasieloser Kleingeist. Weißt du vielleicht, in welchem technischen Bereich er geforscht hat, bevor er sich der Religion zuwandte?«

»Ich glaube, er hat sich recht lustige Dinge ausgedacht.«

»Lustige Dinge?«

»Er besitzt unter der Ponte Rotto, der kaputten Brücke neben der Ponte Palatino am Tiber eine karge Hütte. Aber sein richtiges Zuhause ist ein VW-Bus, dessen Baujahr an die Zeit des Gallischen Krieges heranreichen dürfte. Darin bewahrt er unter anderem die wenigen Erinnerungen an sein früheres Leben auf. Ich bin einmal hineingegangen und entdeckte unter dem überall zerstreut liegenden Gerümpel vergilbte Hefte und lose Blätter mit wissenschaftlichen Aufzeichnungen.«

»Und?«

»Nun, wie ich schon sagte, er hat sich zu jener Zeit mit albernen Dingen beschäftigt. Er ist zum Beispiel der Frage nachgegangen, wie man die Beschichtung von wasserabweisenden Pflanzenblättern synthetisieren und das Resultat auf moderne Autolacke übertragen könnte. So ein Kram eben.«

Zwischen einer Säulenreihe an der Schwelle zur Piazza del Colosseo hieß es schließlich Abschied nehmen. Nach dem Verlassen des verborgenen Glasbunkers hatte mich Sancta zielsicher hierher gelotst. Der elliptische Platz bildete quasi den Abschluß des Forum Romanum. Im Zentrum erhob sich das Kolosseum. Man merkte es meiner Geliebten an, daß sie sich scheute, ihr Geisterreich zu verlassen und auch nur eine Pfote außerhalb dessen Grenzen zu setzen. Denn obwohl es sich bei dem mit Kopfsteinpflaster angelegten Platz um eine autofreie Zone handelte, die als Sammelstelle für Touristen und als Flaniermeile für Spaziergänger diente, machte sich in ihrem Silberantlitz Nervosität breit. Ihr hypnotisierender Duft drang immer noch in meine Nase wie eine Zauberformel, die irreversibel über mich ausgesprochen worden war. Und der Anblick ihres geschmeidigen schlanken Körpers mit dem in der Mittagssonne augenblendend funkelnden Fell, des außergewöhnlich langen Schwanzes und der prankengroßen Pfoten ließ mich für ein paar Momente lang träumen, einfach hierzubleiben, anstatt irgendwelchen Unholden hinterher zu jagen.

»Gleich da hinten rechts geht es über die Via dei Fori Imperiali zur Piazza Venezia, Francis«, sagte meine römische Geliebte und blickte dabei fahrig um sich, als könne sie jeden Augenblick in den gefährlichen Strudel der Metropole hineingerissen werden. »Es gibt dort Ampeln in Hülle und Fülle. Du brauchst nur lange genug auszuharren, bis eine Vespa mit dem Kennzeichen des Vatikanstaates an einer der Ampeln hält. Darauf sind die Buchstaben SCV und das Wappen des Vatikans eingestanzt. Meistens sitzt auf dem Motorroller ein Geistlicher, und hinten befindet sich in der Regel ein Korb für die täglichen Besorgungen. Du springst einfach hinein, verhältst dich während der Fahrt mucksmäuschenstill, und über kurz oder lang landest du dann irgendwann im Vatikan. Wie du allerdings Miracolo ausfindig machst, wenn du dort angekommen bist, überlasse ich deinem Geschick.«

Wir rieben ein letztes Mal unsere Wangen und unsere feuchten Nasen aneinander.

» Vale, Francis!« sagte sie und schaute mir mit melancholischem Blick lange in die Augen. Dann wollte sie sich abwenden.

»Nein, kein Lebewohl, Sancta!« erwiderte ich. Ich nehme an, daß auch mein Blick nun vor Melancholie triefte. »Ich werde wieder zurückkehren und dich in die Freuden des Chaos einweihen. Und nicht allein das. Du befindest dich in Rom, dem kulinarischen Mekka des gesamten Planeten. Du wirst noch so viele Delikatessen mit mir in dich hineinschaufeln, bis du am Ende nach einer verfaulten Fischgräte lechzt. Ich kenne da ein Restaurant mit vorzüglicher Küche. Mit anderen Worten, ich lade dich zum Essen ein!«

Das frohlockende Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, glich dem Stand der Mittagssonne.

»Ach, noch eine Kleinigkeit«, sagte ich. »Kennst du vielleicht den Grund für Umbertos Lebenskrise, die ihn damals zum Priester werden ließ?«

»Ich weiß nichts Genaues darüber. Aber einmal sprach er mit sich selber und erwähnte dabei sehr traurige Dinge.

Er sagte, daß er eine Familie gehabt hätte, die vor drei Jahren bei einer Katastrophe im Ausland umgekommen sei. Seine Frau und seine drei kleinen Kinder wären dabei auf die schrecklichste Weise gestorben, die man sich vorstellen könne.«

Es entstand eine Pause, in der sämtliche Geräusche um uns herum wie von einer Vakuumpumpe weggesogen zu werden schienen und die Zeit quasi stehenblieb. Die Bewegungen um uns herum, vor allem aber die Bewegungen meiner Geliebten, dehnten sich vor meinem inneren Auge zu unerträglicher Langsamkeit aus, als sie mit ihrem süßen schwarzen Mund zu mir sprach:

» Nisi ad me redibis, non melior eris quam stupida mortuaque larva, Francis! «

Und der Zeitlupeneffekt währte noch, als sie mir den Rücken zuwandte und zwischen dem Säulenspalier und den wildwuchernden Büschen endgültig verschwand. Es stimmte schon, was man über die Korat und ihren Heiligenschein sagte. Denn als sie weg war, kam es mir so vor, als hätte man in diesem idyllischen Tableau plötzlich ein blendendes Licht ausgeknipst. Doch auch ihre letzten an mich gerichteten Worte stimmten. Wenn ich nicht wieder zu ihr zurückkehrte, dann war ich in der Tat auch nicht besser als ein blödes totes Gespenst. Noch dazu eins, das in der Hölle jeden verdammten Tag in Schwefel und Lava getunkt gehörte!

Aber ich würde ja zurückkommen. Schon allein deshalb, weil ich es mir um alles in der Welt nicht entgehen lassen wollte, mitzuverfolgen, wie dieser schlanke Körper sich schon in zwei Wochen aufblähte wie ein Kürbis bei optimalen Wetterverhältnissen. Und genau mit diesem vermeintlichen Makel würde ich die Mutter meiner zukünftigen Kinder fortwährend necken. Sancta war bei unserem morgendlichen Beisammensein auf dem Höhepunkt ihrer Empfänglichkeit gewesen, das hatte ich gespürt. Noch mehr als aufsprießender Vaterstolz aber machte mich eine Sache glücklich, auf die wohl kein einziger werdender Vater heutzutage hoffen dürfte: Meine Kinder würden fließend Latein sprechen!